iLeadership: Der Chef in meinem Spiegel

24.08.2018

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Leadership

Wer hat den größten Einfluss auf unsere Entscheidungen? Wer bestimmt, in welche Richtung die Reise gehen soll? Und wer sind seine Ratgeber? Drei wegweisende Fragen an den wichtigsten Vorgesetzten in unserem Leben.

Die erste Führungsaufgabe des Tages begegnet mir jeden Morgen im Spiegel.

Es existiert nur eine Person in meinem Leben, die bei allen kleinen und großen Entscheidungen in meinem Leben anwesend war: Ich. Auf meinem Werdegang gab es bislang neben familiären Prägungen, neben dem manchmal auch schlechten Einfluss guter Freunde, neben Schule und Ausbildung nur eine einzige Konstante – und das bin ich.

Die treibende Kraft hinter allen Entscheidungen im Alltag bin stets ich. Und wie jede Führungskraft trage ich dafür und auch für die Folgen, die daraus entstanden sind, Verantwortung.

Ich bin Chef eines einzigen Mitarbeiters, Vorgesetzter einer Ein-Mann-Abteilung. Doch auch im Kleinstteam besteht Anspruch auf qualitativ gute Führung. Wie also kann es gelingen, mich durch das unbekannte und nicht immer stille Gewässer namens Leben zu navigieren?

1. Eine Frage des Ziels

Die Zielfrage ist spannungsgeladen. Auf der einen Seite des Spektrums stehen Ziele, die sich an einem gefühlten Defizit ausrichten: Was vermisse ich, was will ich haben? Was wird, kann oder soll mich glücklich machen? Medien und Werbespots haben dazu eine klare Meinung: Kaufe jetzt, folge diesem Impuls und jenem Trend! Wechsle den Job, das Auto, den Partner, dann wirst du dich gut fühlen. Der schnelle Kick, das kurze Glück als Instant-Ziel.

Auf der anderen Seite des Spektrums stehen Ziele, die sich an einem Wertesystem orientieren. 1989 gab der US-amerikanische Bestseller-Autor Stephen R. Covey in seinem Ratgeber „The Seven Habits of Highly Effective People“ den Lesern folgende Reflexion als Hausaufgabe: Was sollen Familienmitglieder, Freunde, Geschäftspartner einmal auf meiner eigenen Beerdigung über mich sagen? Welche Werte sollen mein Leben geleitet haben? Welche positiven Einflüsse soll mein Leben auf andere gehabt haben? Oder hat sich alles nur um die Erfüllung meiner eigenen Wünsche gedreht? Was zählte langfristig für mich – Pause, wichtige Ergänzung – wirklich?

Meine Ressourcen auf Erden – Zeit, Geld, eigener Energie – sind begrenzt. Also habe ich eine Wahl zu treffen: Will ich das, was „in“ ist und worauf ich gerade Lust habe, auf Kosten dessen erreichen, was am Ende des Lebens wirklich zählt?

2. Eine Frage der Ehrlichkeit

Niemand auf dieser Welt kann mich leichter davon überzeugen, dass ein neues Auto genau das ist, was ich momentan brauche. Und niemand überreden mich leichter, wenn es darum geht, eine Stunde auf dem Sofa zu ruhen, anstatt mich mit der Familie zu beschäftigen. Oder dass ich eher eine Extra-Portion Eis benötige als eine Stunde Sport.

Das Auto, das Sofa oder das Eis tragen keine Schuld. Doch zu akzeptieren, dass nur ich es bin, der hier die Entscheidungen trifft, ist oft nicht leicht.

Wie viel Vertrauen aber sollte man in jemanden setzen, der situativ statt werteorientiert entscheidet? In jemanden, der zuerst sich selber sieht – und dann überrascht auf die Konsequenzen seines Tuns blickt?

Vielleicht ist mein innerer Chef so ein Typ. Auf dem Gang redet eventuell niemand wirklich schlecht über ihn, manche beneiden ihn womöglich sogar für sein Büro, sein Auto oder Gehalt. Auf der Liste der vorbildlichen Führungskräfte aber würde er eher einen der hinteren Plätze einnehmen: „So wie der? Nein, so will ich nicht sein.“

Lieber vertraue ich doch jemandem, der sich selber gegenüber ehrlich ist. Der Fehler zuzugeben vermag, ohne sie schönzureden, und der aus seinen Fehlern lernt. Ein solcher Mensch beeindruckt und wird akzeptiert. Die Namen auf der Liste meiner Vorbilder eint dieser Charakterzug: Ehrlichkeit gegenüber sich selbst.

In Abteilungen, die von ehrlichen Führungskräften geleitet werden, gibt es meiner Erfahrung nach weniger Konflikte. Und wenn diese auftreten, werden leichter Lösungen gefunden. Ehrliche Projektleiter haben ein leichteres Leben, sie reagieren seltener gestresst, auch weil weniger Themen eskalieren.

Mitarbeiter, die sich selber gegenüber ehrlich sind und Fehler zugeben können, sind eher bereit, eigenverantwortlich – ohne Druck – an Maßnahmen mitzuwirken, um mögliche Fehlerursachen zu beseitigen.

Den Projektalltag bestimmt allerdings meist das Gegenteil. Die Schuld wird überall gesucht, nur nicht im eigenen Vorgarten. Schuld sind andere Abteilungen, der Lieferant und – wenn alles nicht hilft – der Berater, die Mathematik oder der Kunde. Ursachenforschung wird nur dann betrieben, wenn daraus kein eigenes Versagen abgeleitet werden kann.

Wichtige Zusammenhänge dagegen werden ignoriert oder als irrelevant definiert. Gefühlt jagt eine Task-Force die nächste, die Kosten steigen, aber alle Projektbeteiligten sind zu beschäftigt, um innezuhalten und die richtigen Fragen zu stellen: Welche Entscheidungen haben zu der heute problematischen Situation geführt? Was können wir noch wie beeinflussen? Wie gelangen wir zurück an den Punkt, an dem die Weichen ursächlich falsch gestellt wurden? Und was wird benötigt – womöglich andere Fähigkeiten –, um an diesem Punkt besser entscheiden zu können?

Was fehlt, ist Ehrlichkeit.

3. Eine Frage geteilter Werte

Werteorientierten Ziele eine höhere Priorität einzuräumen als kurzfristigen Zielen und sich selbst gegenüber schonungslos ehrlich zu sein, erfordert Kraft. Wo aber tanke ich auf?

Als Kraftquellen geeignet sind Menschen, die ich notfalls auch nachts um zwei Uhr anrufen und um Hilfe bitten kann. Sind Beziehungen geeignet, die nicht in erster Linie auf gleichen Interessen (Hobby, Arbeitgeber, Lebensphase…), sondern auf gleichen Werten basieren. Wer meine Werte-Welt teilt, wird mein Verhalten anders bewerten als jemand, der lediglich meine Interessen teilt. Er wird andere, auch kritische Fragen stellen und andere Handlungsoptionen in den Raum stellen. Entscheidend ist, dass ein offener und vertrauensvoller Austausch möglich ist, der nicht Harmonie um jeden Preis anstrebt, sondern neue Perspektiven ermöglicht und blinde Flecken ausleuchtet: Sich wirklich zu unterstützen bedeutet auch, unbequem zu sein.

Wer ein wertebasiertes Support-Team besitzt, ist als sein persönlicher Chef nicht mehr alleine, sondern kann jederzeit auf ein qualifiziertes Führungsteam zurückgreifen.

Wie will ich führen?

Beim morgendlichen Blick in den Spiegel begegnet jeder Mensch seiner größten Herausforderung als Führungskraft: Führe ich mich durch den heutigen Tag anhand von Situationsentscheidungen – oder aber anhand von Entscheidungen, die auf echten Werten beruhen? Wie will ich meinen Fehlern begegnen? Und was benötige ich, um diese womöglich zu vermeiden? Wer sind meine Unterstützer, mit denen ich gemeinsam für die gleichen Werte eintrete?

Diese Themen stellen einen Auszug von Themen dar, die im Training „Führungskräfteentwicklung für Projektleiter“ bearbeitet werden.