Mehr Effektivität trotzt Fachkräftemangel: Wie Unternehmenscoach Ingo Schwan mit kreativen Konzepten Führungskräfte motiviert, Ihren Einfluss zu nutzen.

Herr Schwan, alle klagen über den Fachkräftemangel in Deutschland. Wie sieht Ihr Lösungsvorschlag aus?

Das Thema Fachkräftemangel ist ein hochkomplexes Thema, auf das es keine einfachen Antworten geben kann. Anstatt zu klagen über etwas, dessen Existenz man nicht – und schon gar nicht schnell – ändern kann, halte ich es für zielführender, sich auf das zu konzentrieren, was tatsächlich im Bereich des Machbaren liegt. Jeder Prozess, an dem ich beteiligt bin, enthält stets ein Verbesserungspotenzial. Es geht darum, den meist unbewussten Einfluss bewusster zu gestalten und dadurch positive Effekte zu bewirken.

 

Welches Verbesserungspotenzial meinen Sie konkret?

Anstatt das Fehlen von Fachkräften zu bedauern, gilt es, sich auf die im eigenen Betrieb vorhandenen Fachkräfte zu konzentrieren. Setzen sie ihre Zeit maximal zielführend ein? Wissen sie um ihre tatsächlichen Aufgaben und Ziele? Wie viel Arbeitszeit verbringen sie in Meetings – und wie effizient sind diese Meetings aktuell gestaltet? Gefühlte und tatsächliche Ineffizienz führen unter anderem zu Stress, zu Unsicherheit, Irritation, Eskalation und letztendlich zu Fehlzeiten bei den Mitarbeitern. Unsere Art des Arbeitens hat Konsequenzen, die sich messen lassen – nicht nur in direkten Kennzahlen, sondern auch in Bereichen, in denen wir sie womöglich nicht vermuten oder auch nicht sehen wollen.

 

Es geht also schlicht um Verbesserung des Zeitmanagements?

Nein. Zeit ist in diesem Fall eher eine Hilfsgröße, um die Entwicklung bestimmter Kennzahlen konkreten Situationen zuordnen zu können. Es geht mir vielmehr darum, aufzuzeigen, wie Beiträge der Fachkräfte zur Zielerreichung im Team schnellstmöglich und unter Einbeziehung unterschiedlicher Blickwinkel und Erfahrungen entstehen können. Dabei kommt es zum einen auf die Haltungen und Einstellungen der Einzelnen an – den Charakter, wenn Sie so wollen – und zum anderen auf ihre Fähigkeiten, mit einer Situation und auch miteinander umzugehen. Es geht mir auch darum, Prozesse zu optimieren durch Minimierung unproduktiver Zeiten – etwa durch Wartezeiten oder aber auch durch Eskalationen im Team oder endlose Diskussionen, die nicht zielführend sind und meist sogar ergebnisoffen enden.

Dieser Ansatz motiviert alle Prozessbeteiligten zum einen, ihre persönlichen Angewohnheiten und auch Charaktereigenschaften zu hinterfragen. Zum anderen entwickeln sie eine neue Haltung zu Prozessabläufen, die ihnen bislang womöglich wie festzementiert erschienen: Sie erleben, dass dank neuer methodischer Ansätze und Tools überraschend einfach alte Bahnen verlassen und neue, bessere Wege beschritten werden können. Arbeitserleben und Zielerreichung werden dadurch leichter. Es geht nicht darum, die Arbeitswelt, wie wir sie kennen, auf links zu krempeln, sondern den Arbeitsalltag schneller und weniger anstrengend zu machen.

 

Sie begegnen also dem Fachkräftemangel durch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen der vorhandenen Fachkräfte?

Durch bestimmte Maßnahmen steigt die Akzeptanz im Team und die Wertschätzung im Miteinander, was die Stressbelastung senkt. Unter anderem ist das an einer niedrigeren Herzfrequenz messbar. Teil des Lernprozesses ist auch die Verbesserung der vertrauensbildenden Kommunikationsfähigkeit – ein Plus an Vertrauen im Team erhöht messbar die Geschwindigkeit von Abläufen und senkt die Kosten. Im Endeffekt geht es mir darum, den Fachkräftemangel nicht global zu lösen, sondern dessen Auswirkungen im Unternehmen weniger gravierend zu machen. In kürzerer Zeit bei gleichzeitig reduziertem Stresslevel mehr zu leisten, löst sicher nicht das globale Problem – aber dafür viele Themen im eigenen Verantwortungsbereich, die vielleicht derzeit dem Führungskräftemangel zugeschrieben werden.

 

Aus welchen Bestandteilen setzt sich Ihr Beratungskonzept zusammen?

Gestartet wird mit einer Zweitages-Schulung, um Grundlagen für gemeinsames Handeln zu legen. Anschließend werden gemeinsam Abläufe analysiert, Daten ausgewertet, Verbesserungspotenziale identifiziert, Lösungsvarianten entwickelt und implementiert. Das dauert in der Regel etwa zehn Tage. An eine Übungsphase im Betrieb schließt sich dann ein maximal dreitägiges Coaching an.

 

Für welche Unternehmen und Hierarchieebenen ist es geeignet?

Eigentlich für alle Branchen und Firmen ab etwa 50 Mitarbeiter. Je nach Unternehmensstruktur wird mit einzelnen Abteilungen oder Bereichen gestartet. Es geht ja darum, in kurzer Zeit erlebbare Verbesserungen für Mitarbeiter und Führungskräfte zu implementieren, um so eine selbstverantwortete Fortsetzung der Aktivitäten zu motivieren.

 

Aus welchen Mitarbeitern setzt sich idealerweise eine Schulungsgruppe zusammen?

Aus Abteilungen und Bereichen, also deren Führungskräfte und Mitarbeiter. Führungsteams und deren „Direct Reports“, Werkssteuerkreise und Abteilungsleiter. Die Kombinationen sind beliebig.

 

Sie haben das Schulungsprogramm an Testgruppen entwickelt. Welche „quick wins“ bzw. langfristigen Veränderungen konnten Sie feststellen?

Was mich am meisten begeistert und motiviert, sind oft die kleinen Begebenheiten und persönlichen Statements der Teilnehmer. Es begeistert mich, wenn mir Mitarbeiter berichten, dass sie eine positive Veränderung spüren, weil zum einen die Besprechungen kürzer sind und es gleichzeitig darin nicht mehr darum geht, wer sich mit seiner Meinung durchsetzt, sondern welche Ideen, Sichtweisen und Erfahrungen einfließen in einen „Pool“, aus dem durch ein strukturiertes Miteinander neue Ideen entstehen, die weit über das hinausgehen, was die Gruppe zu Beginn für möglich gehalten hätte.

Ein Projektleiter erzählte, dass die Projekte bereits nach kurzer Zeit „besser“ laufen, die Teammitglieder motivierter sind und auch qualitativ bessere Arbeitsergebnisse bringen. Er berichtete von weniger Eskalationen und davon, wie überrascht selbst die Stakeholder vom Projektfortschritt sind. Seine eigene Belastung hat sich gefühlt halbiert, seine Arbeitszeit hat sich um etwa 30 Minuten pro Tag verringert – sehr zur Freude seiner Familie.

Für mich als Coach wird mit dem Erfolg eines solchen Konzeptes ein Traum wahr: Diese Verbesserungen sind nicht nur gefühlt da, sondern durch statistische Tests belegbar. Was für viele als „weiche“ Kriterien gilt oder „gruppendynamisch esoterisch“ klingt, findet sich in harten Unternehmenskennzahlen wieder und bildet einen wesentlichen Faktor zu mehr Innovation, Time-to-Market, Qualität, Kosten und Ertrag sowie Kundenzufriedenheit.

Es gibt aus meiner Sicht nichts, das gegen ein solches Konzept spricht. Und was sind die Alternativen? Weiterhin reaktiv unterwegs zu sein? Mit großem Aufwand Fehler zu korrigieren, anstatt sie gar nicht erst zu machen? Weiter die personellen Ressourcen bis über die Belastungsgrenze hinaus zu beanspruchen? Am Ende einer solchen Spirale gehen immer zuerst die Guten. Und der Fachkräftemangel ist gefühlt wieder ein Stück größer geworden – in diesem Fall jedoch selbst verursacht.